Die ACE werden kurz vorgestellt. Durch seine einzelwirtschaftliche Referenzierung ist der EEWCO-Ansatz Teil der ACE. Es wird dann nach anderen ACE-Modellen gesucht, die sich mit gesamtwirtschaftlichen Fragestellungen beschäftigen.
Im Wesentlichen ist es bisher das EURACE-Projekt. Es wird eine erster Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum EURACE-Projekt geworfen.
Stand der ACE-Beobachtung 2011.04
Die ACE
In der ACE wird das Wechselspiel untersucht, das sich aus der Interaktion von einzelnen Agenten in einer Modellumwelt ergibt. Grundlegendes Analysewerkzeug ist dabei die computergestützte Simulation. Der Ansatz eignet sich besonders zur Untersuchung spezifischer Tauschregeln und zur Untersuchung von heterogenen Erwartungsbildungen und Entscheidungen. Eine Einführung in die Grundgedanken der ABM (Agent Based Modelling) findet sich bei M. W. Macy und R. Willer (2002). Sie führen in das Thema aus soziologischer Perspektive ein, so dass insbesondere die Modellierung von Interaktionen zwischen den Agenten thematisiert wird. Einen Überblick über die ACE findet sich beispielsweise in dem Handbuch L. Tesfatsion und K. L. Judd (2006).
ACE für mikroökonomische Fragestellungen
Die ACE wird bisher überwiegend für mikroökonomische Fragestellungen verwendet. Ein wie ich finde sehr gelungenes Modell ist das folgende. Die Möglichkeiten, die der ACE-Ansatz bietet, lassen sich in dem Modell schön erkennen:
Das Bar Modell von B. W. Arthur (1994)
Die Anwohner einer Kleinstadt können in einer Reihe von Bars gehen. Sie genießen es auszugehen, sofern die Bars nicht zu leer und nicht zu voll sind. Folgendes Koordinationsproblem stellt sich dar: Wenn alle erwarten, dass die Bars überfüllt sind, geht keiner hin. Glauben alle, dass die Bars gut besucht sein werden, dann werden sie überfüllt. Wenn also alle das Gleiche erwarten, werden die Bars entweder zu voll oder zu leer sein. Die Autoren finden eine Lösung, die zu gleichmäßig guten Besucherzahlen führt: Alle Individuen haben verschiedene Erwartungen, die sie zudem unterschiedlich erneuern. Mit der Simulationsmethodik kann hier an einem Beispiel gezeigt werden, wie individuelle Heterogenität Bedingung für ein übergeordnetes Gleichgewicht wird.
Eine analoge Fragestellung hat mich übrigens beschäftigt, als ich die Markteintrittsentscheidung von potentiellen Unternehmern im eewco-Ausgangsmodell entwickelt habe.
Die ACE für gesamtwirtschaftliche Fragestellungen
Für gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge finden sich erst in jüngster Zeit Beiträge. Noch 2006 weist A. Lejonhufvud in einem Beitrag „agent-based makro“ zum Handbuch der ACE zwar auf die potentielle Bedeutung des ACE-Ansatzes für die Analyse gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge hin, konstatiert aber dann das Nicht-Vorhandensein einer entsprechenden Theorie und weist auch auf kein einziges Modell hin. In der Zwischenzeit gibt es erste Ansätze. H. Dawid u. a. (2008, S. 252) etwa nennen eine handvoll Modelle, die geschlossene ökonomische Kreisläufe thematisieren.
Sugarscape-Modell von J. M. Epstein und R. Axtell
Den Urtyp zur Analyse von agentenbasierten gesellschaftlichen Modellen haben J. M. Epstein und R Axtell (1996) vorgelegt. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist zunächst zu bemerken, dass das Modell bei der Raumdimension und dem Überleben der Individuen ansetzt und damit in einem Bereich, der von dem üblichen makroökonomischen Themenbereich ein ganzes Stück entfernt ist. Es zeigt auch, ein wie weit gespanntes Themenfeld mit dieser Methode potentiell analysiert werden kann.
Die Aussagen des Modells bleiben jedoch auf ihre potentielle Bedeutung beschränkt. Dies liegt meines Erachtens daran, dass die methodischen Grundlagen zu schwach sind: Das Verhältnis der Annahmenauswahl und der Annahmenspezifikation zum Forschungsinteresse und zu ihrem Weltbild bleiben im Nebel, so dass aus dem Modell keine belastbaren Ergebnisse abgeleitet werden können.
Das Problem einer unausgereiften Methodik zieht auch neuere Ansätze in Mitleidenschaft.
Das Ruhrmodell von Ch. Krusch
Beispielsweise hat Ch. Krusch das Sugarcapemodell überarbeitet. Zunächst kritisiert er m. E. zu Recht die mangelnde Nachvollziehbarkeit des Sugarscapemodells und behebt diese in seiner Arbeit. Andererseits nimmt er sich das Ruhrgebiet zum Vorbild, nennt sein Modell „Ruhrmodell“ und betont dann – dankenswerter und fortschrittsfördernder Weise explizit –, dass die Annahmen mit diesem Vorbild nichts zu tun haben (Krusch (2008), S. 69, 110).
Haber G.
Ein weiteres makroökonomisches Modell verwendet G. Haber. Er stellt zunächst m. E. richtigerweise dar, wie bedeutsam sein Schritt in Richtung einer expliziten Darstellung des Bankensektors in einem gesamtwirtschaftlichen Modell ist. Andererseits modelliert er einen öffentlichen Sektor, dessen Ausgaben im Nichts verschwinden. Es stellt sich mir dann die Frage, wie die Funktionsweise des Bankensektors erfasst werden kann, wenn es Gelder gibt, die der Einfachheit halber verschwinden (Haber, G. (2008): S. 284).
Das EURACE-Projekt
Das ambitionierteste mir bekannte Projekt ist das EURACE-Projekt. Es wurde von acht europaweit verteilten Professuren entwickelt und wird nun von einigen Mitgliedern weiter verwendet (EURACE@Unibi, Universität Bielefeld). Mit diesem Projekt wird die Erstellung eines Beratungsinstruments für die europäische Wirtschaftspolitik angestrebt.
Das Bild, das ich von dem EURACE Modell zeichne, stützt sich auf einige Arbeitsberichte, die auf der Homepage veröffentlicht worden sind, sowie auf einen Zeitschriftenbeitrag (EURACE (2008), van der Hoog, S./Duissenberg, Ch./Dawid, H. (2008), van der Hoog, S./Duissenberg, Ch. (2007)). Auf dieser Grundlage habe ich einen Eindruck von dem Projekt gewonnen; allerdings hat es sich inzwischen weiterentwickelt. Die folgenden Überlegungen sind daher als Arbeitshypothesen oder Prüfsteine für eine erneute Recherche rund um das EURACE-Projekt gedacht.
Gemeinsamkeiten
Das EURACE-Modell und der eewco-Ansatz setzen beide auf die agentenbasierte Simulation. Beide verwenden einen Populationsansatz und sind ebenso überzeugt von den Möglichkeiten, heterogene Akteure, Institutionen und Prozesse abbilden zu können. Beide sehen bedeutende Erkenntnismöglichkeiten zur Untersuchung der Wechselbeziehungen von Real-, Finanz- und Geldsphäre. Das EURACE-Modell hat zur Zeit einen größeren Umfang als das eewco-Ausgangsmodell. Es sind mehr Institutionen und andere Modellbestandteile implementiert.
Mögliche Unterschiede
These 1: Das EURACE-Modell strebt unmittelbarer die Beratungsfunktion an; das Vorgehen zum eewco-Ansatz zielt zunächst auf ein Abbilden und Erklären. Eventuell kommen dadurch Modellelemente in das EURACE-Projekt, die sachlogisch nicht gut aufeinander abgestimmt sind, oder deren Wechselwirkungen nicht verstanden sind. Für die Beratung auf dem gegenwärtigen Stand des Wissens ist das unproblematisch, für die mittelfristige Theorieentwicklung schon. (Vergleiche dazu Theoretische oder wirtschaftspolitisch beratende Untersuchungen)
These 2: EURACE legt nicht alles offen – ein Privatmodell.
Auf der Seite von EURACE@Unibi lässt sich die Simulationsumgebung downloaden. Das Modell selbst habe ich nicht zum Download gesehen. Warum ich eine Veröffentlichung als wichtig ansehe, illustriere ich mit dem folgenden Erlebsnis:
Ich lese den Artikel von S. van der Hoog u. a. (2008), wo das Modell soweit beschrieben wird, dass erahnbar wird, wie dieses Modell funktioniert. Es wird beispielsweise der Finanzsektor umrissen. Auf die Erfahrung mit der Ausgestaltung des EEWCO-Ausgangsmodells zurückblickend war ich bei der Lektüre dann neugierig, wie das Bankrottthema gelöst worden ist. Dazu findet sich tatsächlich ein Abschnitt, in dem dann erläutert wird, dass die Unternehmen verschiedene Liquiditätsgrade identifizieren und an ihre Banken melden. Ich wollte dann herausfinden, warum die Unternehmen in dem Modell insolvent werden, und wie die Insolvenzordnung aussieht. Im Text gab es dazu keine Hinweise und auch keine Hinweise auf eine Darlegung einer vollständigen, lesbaren Spezifikation, mit der ich meine Frage hätte beantworten können. Für den eewco-Ansatz lege ich Wert darauf, vollständige Dokumentationen und Codes zu veröffentlichen. So sollen Argumentationseinheiten entstehen, die verbessert und wiederverwendet werden. Die Darstellungsweise ist deshalb im Rahmen des Möglichen darauf ausgerichtet, eine Diskussion auch zu einzelnen Argumenten anzuregen.
Das EURACE-Modell verwendet in der ACE-Tradition eine 2D-Landschaft als Grundgerüst; das eewco-Ausgangsmodell stellt keine räumlichen Aspekte dar und konzentriert sich auf die Einführung der zeitlichen Aspekte.
Das EURACE-Modell wird modulweise erstellt und diese Module dann zusammengesetzt; der eewco-Ansatz wird Schritt für Schritt aufgebaut.
Die Verwendung von „realistischen“ Modellannahmen. Die Verwendung dieses Terminus lässt mich vermuten, dass für die Methodik weder die Pars-pro-toto-Zerrung entdeckt und beschrieben worden ist, noch dass eine klare Vorstellung existiert, wie sich Modellannahmen und Beobachtungen aufeinander beziehen sollten. Es wird dann auch eine Methodik geben, welche Beobachtungen wie in das Modell umzusetzen sind. Entsprechend können die Annahmen auch nur etwas schwammig begründet und diskutiert werden. Darunter wird die Überzeugungskraft des EURACE-Modells zunächst leiden. Ich wette außerdem, dass sich dieses Manko auch nicht nachträglich heilen lässt, weil die Verzahnung der Modellelemente zu groß ist, als dass sich Stück für Stück erneuert werden könnten.
In der pars-pro-tot-Zerrung könnte im Übrigen auch der Grund liegen, warum bisher die ACE überwiegend für mikroökonomische Fragenstellungen eingesetzt wird: Es gibt auf der mikroökonomischen Ebene keine oder weniger einschneidende pars-pro-toto-Zerrungen. Die Verbindung von Modell zu Beobachtungen kann deshalb intuitiv gelingen. (Zur pars-pro-toto Zerrung siehe Grundlagentext Methodologie&Methodik)
Links
Growing Economies from the Bottom up
Webite von Leigh Tesfatsion.
EURACE@Unibi
Ein aktiver Ableger des EURACE-Projekts
Literatur
Arthur, B. W. (1994): Inductive Reasoning and Bounded Rationality, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Jg. 84, S. 406–411.
Dawid, H. u. a. (2008): Skills, Innovation, and Growth: An Agent-Based Policy Analysis, in: Jahrbücher für Nationalökonomie u. Statistik, Jg. 228/2+3, S. 251–275.
Epstein, J. M. und Axtell, R. (1996): Growing artificial societies, Washington, DC [u.a.].
EURACE (2008): Vision Document, Due date: 31.01.2008, www.eurace.org, Zugriff am 10.2.2010.
Haber, G. (2008): Monetary and Fiscal Policy Analysis With an Agent-Based Macroeconomic Model, in: Jahrbücher für Nationalökonomie u. Statistik, Jg. 228/2+3, S. 276–294.
Krusch, Ch. (2008): Mikroökonomie in künstichen Gesellschaften, Vom Sugarscape- zum Ruhrmodell, Berlin.
Leijonhufvud, A. (2006): Agent-Based Macro, in: Tesfatsion, L./Judd K. L. (Hrsg.): S. 1625–1637.
Macy, M. W./Willer, R. (2002): From Factors to Actors: Computational Sociology and Agent-Based Modeling, in: Annual Review of Sociolology, Jg. 28, S. 143–66.
van der Hoog, S./Deissenberg, Ch. (2007): D2.1 Agent-based computational economic modelling guidelines, Modelling Requirements for EURACE, www.eurace.org, Zugriff am 10.2.2010.
van der Hoog, S./Deissenberg, Ch./Dawid, H. (2008): Production and Finance in EURACE, in: Schredelseker, K./Hauser, F. (Hrsg.): Complexity and Artificial Markets, Berlin/Heidelberg, S. 147–158.
Tesfatsion, L./Judd K. L. (Hrsg.) (2006): Handbook of Computational Economics, Vol. 2, Agent-Based Computational Economics, Amsterdam.