Pareto-Effizienz der vollkommenen Konkurrenz: Wohlfahrtsökonomik mit Hütchentrick

Das Pareto-Kriterium

Das Pareto-Kriterium wird in der Volkswirtschaftlehre verwendet, um die Vorteilhaftigkeit „der vollkommenen Konkurrenz“ zu begründen und die vollkommene Konkurrenz dann kurz und knapp als (pareto-)effizient bezeichnen zu können.

Das Pareto-Kriterium besagt, dass eine wirtschaftliche Situation dann einer anderen vorziehen ist, wenn mindestens ein Mensch besser gestellt wird, ohne dass ein anderer schlechter gestellt wird. Eine Situation, in der keine derartige Verbesserung gefunden werden kann, heißt pareto-effizient.

Siehe dazu auch den Artikel im Gabler Wirtschaftslexikon.

Vorteil des Pareto-Kriteriums

Ausgangspunkt ist die Suche nach einem Bewertungskriterium für die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, mit dem sich auch die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen begründen lässt. Neben den unterschiedlichen Auffassungen über die Wirkungszusammenhänge und ihren Auswirkungen ist es die Vielzahl der unterschiedlich betroffenen unterschiedlichen Menschen, die ungelöste Bewertungsfragen aufwirft. Diese Fragen stehen insbesondere im Raum, seit man sich von der Vorstellung eines kardinal messbaren Nutzens und einer interpersonalen Addierbarkeit der Nutzen verabschiedet hatte. Um die Unwägbarkeiten gesellschaftlicher Abstimmungsprozesse sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht zu vermeiden, ist ein Kriterium gesucht, dem alle zustimmen können. Als Vorschlag für ein solches Kriterium schlug Vilfredo Pareto das nach ihm benannte Kriterium vor.

Randnotiz: Mehr ist besser?

Zum Zwecke der einfachen Operationalisierung des Pareto-Kriteriums wird in der paretianischen Wohlfahrtsökonomik davon ausgegangen, dass ein Mensch mehr für sich auch besser findet – unabhängig wie es den anderen Menschen geht. Ich will darauf hinweisen, dass damit zwischenmenschliche Aspekte und Aspekte der Sättigung leicht aus dem Blickfeld geraten.

Die „effiziente“ Marktwirtschaft – das Hütchenspiel

Im folgenden zeichne ich die Argumentation nach, mit der in der Volkswirtschaftslehre begründet wird, warum sie das Modell der vollkommenen Konkurrenz ein Vorbild für die Gestaltung der Wirtschaft sehen.

Als Bewertungskriterium: Das Pareto-Kriterium

Weil das Pareto-Kriterium auf interpersonelle Nutzenvergleiche verzichtet und zumindest als ein kleiner gemeinsamer Nenner plausibel ist, wird es als das Bewertungskriterium gewählt.

Eine wirtschaftliche Situation, dargestellt mit Edgeworthboxen

Als nächster Schritt wird ein 2 Güter 2 Menschen Fall unter der Annahme unendlicher Teilbarkeit, der Substituierbarkeit der Güter und abnehmendem Grenznutzen der Güter betrachtet. Zur Veranschaulichung werden Edgeworthboxen verwendet. Es wird eine beliebige Anfangsverteilung der Güter betrachtet und dann gezeigt, dass es pareto-superiore Tauschmöglichkeiten gibt. Die beiden Menschen tauschen dann solange, bis sie keine weiteren für beide positiven Tauschmöglichkeiten mehr finden. Sie befinden sich in einem pareto-effizienten Punkt. In diesem Punkt ist unter den obigen Annahmen die relative Wertschätzung für die beiden Güter bei beiden Individuen gleich. Das wird dann als eine Marginalbedingung bezeichnet.

Es werden weitere Marginalbedingungen abgeleitet, zum Beispiel auch für die Produktion der Güter.

Die „Pareto-Effizienz“ der vollkommenen Konkurrenz

Jetzt wird das Modell der vollkommenen Konkurrenz hervorgeholt. Das Modell ist durch eine ganze Reihe von Annahmen gekennzeichnet, deren Bezug zur Wirklichkeit den Studierenden nicht nachvollziehbar präsentiert werden kann. Besonders bizarr mutet die Zentralplanungsinstanz, der Walrasianische Auktionator (Gabler, eewco) an, der alle Marktteilnehmer koordiniert. Nun kann gezeigt werden:

Die Marginalbedingungen aus den Edgeworthboxen und die Austauschverhältnisse im Modell der vollkommenen Konkurrenz sind gleich! Also ist das „Markt“ergebnis des Modells der vollkommenen Konkurrenz pareto-effizient!

Das mag sein, nur, schauen wir nach, was war das Bewertungskriterium für die vollkommene Konkurrenz? Das Pareto-Kriterium? Nein – die Marinalbedingungen. Pareto-Kriterium steht drauf, Marginalbedingungen sind drin.

Damit bekommen die Marginalbedingungen eine völlig neue Bedeutung. Wo kommen die nochmal her? Aus einem pareto-superioren Tauschablauf von – von einer Tauschsituation, in der 2 Menschen jede beliebig große oder kleine Menge zu von ihnen selbst ausgehandelten Preisen tauschen. Wären die Tauschbedingungen hier anders, kämen auch andere Marginalbedinungen heraus. Was rechtfertigt also diese Tauschsituation als Grundlage der Bewertung zu nehmen? Keine Angabe.

Die „Effiziente“ vollkommene Konkurrenz

„Pareto-effiziente“ vollkommene Konkurrenz spricht sich umständlich. Also ist es günstiger von „effizienter“ vollkommener Konkurrenz zu sprechen. Was nicht falsch ist. Nur dürften mit der Materie nicht vertraute Personen dann denken, dass es sich um eine Charaktisierung im Sinne eines möglichst günstigen Verhältnisses von Input zu Output handelt.

Die vollkommene Konkurrenz als Vorbild

Der nächste Schritt besteht darin, alle Marktformen, die nicht dem Modell der vollkommenen Konkurrenz entsprechen, wenn möglich aufzulösen und in Richtung der vollkommenen Konkurrenz zu ändern. Bei dieser Bewertung steht immerhin die vollkommene Konkurrenz offiziell als Vergleichsmaßstab.

Aber war nicht das Bewertungskriterium das Pareto-Kriterium? Warum wird beispielsweise zur Bewertung von Monopolen die vollkommene Konkurrenz herangezogen und nicht das Pareto-Kriterium? Keine Angabe. Das Thema wird nicht diskutiert, da sich ja angeblich die Eigenschaften des Pareto-Kriteriums auf die vollkommene Konkurrenz vererbt hätten. Wobei es einen hätte skptisch machen können: Die Kriterien sehen schon recht verschieden aus, oder?

Die „effiziente Marktwirtschaft“

Der nächste Schritt im Hütchespiel ist nicht mehr Bestandteil der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, sondern von mir erahnt. Der Bezug der Modelle zu Wirklichkeit ist in der Volkswirtschaftslehre unterbelichtet (siehe Grundlagentext Methodologie & Methodik). Nun will man trotzdem Aussagen über die Realität machen. Und schwups wird aus der „effizienten“ vollkommenen Konkurrenz die „effiziente Marktwirtschaft“.

„Uneffiziente“ Externe Effekte

Ein weiterer Bereich, in dem das Pareto-Kriterium für Bewertungen herhalten muss, die durch seine Anwendung nicht gedeckt sind, ist der Bereich der externen Effekte. Externe Effekte sind Wirkungen eines Marktteilnehmers, die nicht in den Marktpreis eingehen. Beispielsweise, wenn ein Unternehmen am Oberlauf eines Flusses den Fluss verschmutzt und die Menschen am Unterlauf schaden davon haben. Das ist nicht schön, und Internalisierung wäre hier auch meine erste Überlegung. Nur pareto-ineffizient sind die externen Effekte nicht.

(Siehe dazu Buchanan, J. (1969): Cost and Choice)

Seit Jahrzehnten Hütchenspiel, und keiner hat’s gesehen?

Meine Erinnerung an das Studium sieht so aus: Es war ein interessantes Aha-Erlebnis, dass die Marginalbedingungen der Edgeworthboxen mit den Austauschverhältnisse der vollkommenen Konkurrenz übereinstimmen. Und es hat mich einigen Hirnschmalz gekostet, die drei Marginalbedingungen nachzuvollziehen. Damit war mein Hirn weitgehend ausgelastet, und mit einem Hütchenspielertrick habe ich auch nicht gerechnet.

Dann kam die Frage auf, was denn die Verbesserung für den Monopolisten sei, wenn auf vollkommene Konkurrenz umgestellt würde. Die nachvollgende Diskussion um hypothetische Kompensation und Paradoxa des Hin- und Her-Änderns haben mich dann auch wieder soweit beschäftigt, dass mir die Frage gar nicht in den Sinn kam, ob das vielleicht alles mit dem Pareto-Kriterium nichts zu tun hat. Und dann kam die Klausur und andere Vorlesungen und das Thema war auch nicht so wichtig für mich, als dass ich da nachgehakt hätte.

Wenn ich mir die Bemühungen betrachte, die vollkommene Konkurrenz als effizient bezeichnen zu können, dann habe ich den Eindruck, dass da der Wunsch Vater der Gedanken war.

Aktuell wurde das Thema Pareto-Effizienz wieder für meine Diplomarbeit. Da hatte ich danach gefragt, wie sich das Pareto-Kriterium für die Bewertung von Zuständen von prozessbasierten Wirtschaftsmodellen eignet. Bei dem Versuch, das Pareto-Kriterium darauf anzuwenden, ist es in meinen Händen zerbröselt – was für den Aufbau der Diplomarbeit unschön war, weil nun mein Teil II mit einem kleinen prozessbasierten Modell nicht mehr gebraucht wurde. Was im Sinne der Wissenschaft eigentlich kein Problem hätte sein sollen.

Eine weitere Verteidigungslinie besteht übrigens darin, dass jemand auf den Unsinn dieses Kriteriums angesprochen, antwortet, dass er auch der Meinung ist, dass das Kriterium nichts taugt – das wäre ja auch nichts Neues. Eine Diskussion über den Unsinn findet nicht statt und in der nächsen Vorlesung taucht die Pareto-Effizienz wieder auf.

Wie lässt sich einfacher erkennen, dass das Pareto-Kriterium zur Beurteilung der vollkommenen Konkurrenz nichts taugt?

Das Pareto-Kriterium direkt auf die Situationsänderung anwenden. Wird die Lage eines Monopolisten verbessert, wenn sein Monopol abgebaut wird? Nein – also sind Monopole pareto-effizient. Sind alle damit einverstanden, dass ein Unternehmen ein Monopol eingeräumt bekommt? Nein – also ist die vollkommene Konkurrenz pareto-effizient. Usw. Um es auf den Punkt zu bringen: Gibt es eine Organisationsform, die nicht pareto-effizient ist? Also eine Organisationsform, bei der alle einer Änderung zustimmen?

Vielleicht das Pareto-Kriterium ganz vergessen?

Das Pareto-Kriterium ist beinahe identisch mit dem Einstimmigkeitskriterium. Das Pareto-Kriterium bewertet mit Pareto-superior, inferior und nicht entscheidbar. Beim Einstimmigkeitskriterium gibt es Zustimmung oder Ablehnung. Da für die Effizienzdiskussion aber nur der Pareto-superiore Fall interessant ist, kann man auch das Einstimmigkeitskriterium heranziehen. Bei diesem Kriterium gibt schon der Begriff über die Bewertungsmodalitäten auskunft, er ist daher klarer und damit vorzuziehen.

Wobei praktisch auch mit dem Einstimmigkeitskriterium noch Fragen zu klären sind: Wer setzt die Entscheidungsagenda? Doch diese Frage führt über das Anliegen dieses Beitrags hinaus und verweist eher auf das zu entdeckende und zu gestaltende Feld der Bewertungskriterien.

 

Anliegen

Ich fänd ja toll, wenn bekannt wird, dass die Marginalbedingungen und die vollkommene Konkurrenz als Bewertungskriterien nichts mit Pareto-Effizienz zu tun haben. Deshalb meine Fragen:

  • Ist meine Argumentation schlüssig und klar?
  • Hat sie Dich überzeugt?
  • Ist sie klar genug, dass Du andere davon überzeugen kannst, wenn Du willst?
  • Gibt es etwas womit ich die Kommunikation allgemein oder Dich im Besonderen, wenn Du aktiv werden willst, unterstützen kann?

 

Links

Eine ältere Textversion, mit Literaturbezügen und einigen Seitenthemen:
wp-pareto-kriterium-trojanisches-pferd-der-wirtschaftswissenschaft-1r.pdf

Fritsch M./Wein, T./Ewers H.-J. (1996): Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München, S.16ff.

Als Indiz dafür, dass die Pareto-Effizienz nach wie vor eine wichtige Rolle im Diskurs spielt, nehme ich folgendes Buch:
Feldman, A. / Serrono, R. (2006): Welfare Economics and Social Choice, New York.

 
 

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