Die explorative Fragestellung

Das Testen vorhandener Hypothesen ist eine wichtige Vorgehensweise wissenschaftlichen Arbeitens. Unbekannte Themengebiete erkunden ist eine weitere Vorgehensweise – und die bedarf anderer Methoden.

Fragestellungstypen

Besonders in der empirischen Arbeit ist die Fragestellung in Form einer zu überprüfenden Hypothese verbreitet. Die Hypothese der Art „Wenn X dann Y“ wird einem empirischen Test unterzogen.

Für das Studium gibt es Fragestellungen des Typs „Nehme eine Theorie T und wende sie auf das Thema X an.“ Bei dieser Vorgehensweise wird ein bestehendes Argumentationsmuster auf eine neue Situation angewendet. Problematisch ist dabei, dass der Fokus auf der Anwendung eines bekannten Argumentationsmusters liegt und die Situationsanalyse, die Anwendbarkeit und die Entwicklung neuer Argumentationsmuster tendenziell vernachlässigt werden.
(Vergleiche dazu ähnlich die Eintopftheorien wirtschaftspolitisch beratender Untersuchungen.)

Geht es um die Entwicklung von Theorien, ist es zweckmäßig, die Fragestellung so zu fassen, dass die Entdeckung von neuen Argumentationsmustern ermöglicht wird. Eine solche Fragestellung ist explorativ.

Zur Bearbeitung explorativer Fragestellungen

Es wird ein Untersuchungsgegenstand festgelegt, der zur Orientierung bei der Forschungsarbeit dient. Zur Orientierung und nicht als Fixpunkt, weil die Eigenschaften dieses Gegenstandes erst noch erkundet werden müssen. Es wird sich immer wieder herausstellen, dass die Dinge anders liegen als erwartet. Und dann ist der Gegenstand der Forschung neu zu fassen.

Eine explorative Forschungsarbeit durchläuft etwa folgende Schritte:

Was interessiert mich?
Was ist mein Untersuchungsgegenstand?

Welche Elemente gehören zum Thema?
Welche Elemente, die ich erwartet habe, erweisen sich als belanglos?
Welche Zusammenhänge liegen vor?
Welche Zusammhänge, die ich erwartet habe, liegen nicht vor?

Auswertung.
Das Ganze von vorn, solange bis das Interesse befriedigt oder die Aufwandsgrenze erreicht ist.

Explorative Fragestellungen in den Wissenschaftsalltag

Während meines Studiums habe ich nirgendwo gesehen, dass explorative Fragestellungen als solche benannt und die geforderten Arbeitsmethoden und Beurteilungsmaßstäbe daraufhin ausgerichtet worden wären. Das ist mir klargeworden, als ich die Theorie der Gesamtwirtschaftslehre agenten- und prozessbasiert neu entwickelt habe. Die dafür erforderliche Vorgehensweise entspricht nicht den gängigen Vorgehensweisen wissenschaftlichen Arbeitens. Was zu der absurden Situation führt, dass Forschungsarbeiten dieser Art nicht gewürdigt werden konnten, weil ja keine „wissenschaftlichen Methoden“ zum Einsatz gekommen sind.

 

Literatur

Das Konzept der explorativen Fragestellung wird von der Grounded Theory verwendet. Siehe dazu Roessler, M./Gaiswinkler, W. (2006), S. 154f. Die Grounded Theory ist eine theoretische Strömung inden Geisteswissenschaften, die sich eine gegenstandsbezogene Theorieentwicklung zum Ziel gesetzt hat.

Roessler, M./Gaiswinkler, W. (2006):
Grounded Theory – gegenstandsnahe Theoriebildung,
in: Flaker, Vito/Schmid, Tom (Hg) (2006), S. 145–165.

Flaker, Vito/Schmid, Tom (Hg) (2006): Von der Idee zur Forschungsarbeit, in: Sozialarbeit und Sozialwissenschaft, Wien/Köln/Weimar.
 
 

Schreibe einen Kommentar